Frau des Monats Mai

Feministische Aktivistin der Frauenarchive und Bibliotheken Ursula Nienhaus

Ursula Nienhaus an ihrem Lieblingsort: dem Frauenforschungs-, -Bildungs- und -Informationszentrum in Berlin (Ausschnitt, ©  FFBIZ)
Ursula Nienhaus an ihrem Lieblingsort: dem Frauenforschungs-, -Bildungs- und -Informationszentrum in Berlin (Ausschnitt, © FFBIZ)

In Köln hat sie lediglich eine kurze Zeit als Studentin verbracht. Vielen Feministinnen war sie als Mitbegründerin und langjährige Mitarbeiterin des FFBIZ (Frauenforschungs-, -Bildungs- und -Informationszentrum) in Berlin bekannt sowie als Mitinitiatorin des 1994 gegründeten Dachverbands der Frauenarchive i.d.a.: Prof. Dr. Ursula Nienhaus (1946 – 2020). Am 17.04.2020 ist die Historikerin im Alter von 74 Jahren gestorben.  Wir erinnern an diese Pionierin der Frauengeschichtsbewegung mit einem Nachruf.

Ursula Nienhaus stammte aus Hadern/Rees am Niederrhein. Die Mutter war Landarbeiterin und ‚natürlich‘ Hausfrau, der Vater Arbeiter – die Historikerin war eine der wenigen Arbeitertöchter, die den Weg an die Uni schafften.  „Die oberste Maxime meines Elternhauses war, dass das Kind nicht mehr werden darf als die Eltern. Auch wir hatten das verinnerlicht […]“.* Kein Wunder also, dass es Stress mit einer Tochter gab, die sich in den Augen der Familie zu liberal entwickelte. Das dörfliche Umfeld sowie die Familie wurden von ihr als konservativ bis reaktionär und antisemitisch beschrieben. „Mein Vater hat mir in einem Brief geschrieben: Alle Kommunisten müsste man an Laternen aufhängen und mich mitten unter ihnen. Das war, trotz aller Distanz meinerseits, ein ziemlich harter Schlag für mich.“ Ursula Nienhaus antwortete auf ihre Weise, indem sie osteuropäische Geschichte und damit die Geschichte der kommunistischen Länder studierte. Mehrere Frauen haben sie in ihrem beruflichen Werdegang gefördert. Schon die Volksschul-Lehrerin in Hadern entdeckte ihre Begabung und überwies sie, ebenso wie ihre Freundin, zum Gymnasium – gegen den Willen der Eltern. Es handelte sich um eine Klosterschule, wo die beiden Mädchen als Externe milieufremd waren und dies auch empfanden. Ursula musste in den Ferien in der Fabrik arbeiten, damit die Eltern „nicht ständig betonen, dass ich kein Geld nach Hause bringe.“ Dennoch empfand Nienhaus die Nonnen - „Töchter vom Hl. Kreuz“ , eine belgischen Kongregation des 19. Jahrhunderts - als „erste Frauenbewegung quasi, sie haben mit Prostituierten angefangen und sich dann auf Mädchenbildung verlegt.“ Das Kloster, in einem Wasserschloss untergebracht, hatte Wurzeln bist zu der heiliggesprochenen Irmgard von Aspel, die um 1000 geboren wurde und heute im Kölner Dom verehrt wird. Unter anderem diese lange Tradition erweckte in Ursula Nienhaus das Interesse für Geschichte.

Nach dem Abitur 1966 waren es die Lehrerinnen dort, die sie weiter förderten: "[…] meine Nonnen hatten mir ein Stipendium besorgt. Und zwar hatte der von [Heinrich] Böll in den ‚Ansichten eines Clowns‘ beschriebene Prälat Hanssler – im Roman heißt er Sommerwild – eine neue katholische Studienstiftung gegründet, das Cusanus-Werk, die vergaben Hochbegabtenstipendien, auch an Frauen.“ Als Studienfächer wählte Nienhaus an der Universität zu Köln neben Geschichte auch die Fächer Deutsch, Pädagogik und Philosophie. Wieder kamen Fremdheitsgefühle auf: „Nach eineinhalb Jahren an der Uni hatte ich aber noch kein Wort gesagt, und auf dem Flur sitzend hatte mich noch nie ein Mensch angesprochen.“

Es folgten als Studienjahre in Bonn und Tübingen. Dort wurde sie in den letzten Jahren seiner Existenz Mitglied des SDS. Noch war sie keine Feministin, sondern hat als Linke „die erste sich bildende Frauengruppe aktiv bekämpft“.

1972 wollte sich Nienhaus nach ihrer Examensarbeit über Bakunin weiter mit der SU beschäftigen und herausfinden, „warum die Revolution so schnell entarten konnte.“ Ein Stipendium erlaubte ihr ein Jahr an der Stanford University California, wo es das Archiv für das frühe Sowjetunion und damit große Bestände gibt. Dort kam sie in Kontakt mit der Black Panther Bewegung und unterstützte unter anderem einen verhafteten Aktivisten finanziell. „Mehr noch faszinierten mich die Black-Panther-Frauen, aber die redeten nicht mit mir, was mich, die ich grade Feministin geworden war, natürlich kränkte."

Wieder in Tübingen vertiefte sie ihre Studien in Russisch und Soziologie und promovierte 1976 in sowjetischer Geschichte. Hier begannen ihre Kontakte zur deutschen Frauenbewegung. Sie wirkte an der Gründung des dortigen Frauenzentrums mit. 1976 zog sie nach Berlin. Die damals noch geteilte Stadt sollte ihre bedeutendste Wirkungsstätte werden.

Sie gab engagierten Unterricht an der 1973 gegründeten Schule für Erwachsenenbildung, eine alternative Schule des Zweiten Bildungsweges, und beeindruckte viele Schülerinnen.

Während ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Assistentin an der TU Berlin erfuhren sie und andere Frauen, dass „buchstäblich unter dem Bett und auf dem Dachboden bei einer älteren Frau“ Bestände aus der Historischen Frauenbewegung, von Helene Lange z.B., lagerten. „Nach der 1. Sommer-Universität der Frauen war ja klar, und das war dort auch öffentlich artikuliert worden, dass es notwendig ist, eine Frauenbibliothek und ein Frauenarchiv zu errichten.“ 1978 gründete ein Frauenkreis das FFBIZ als Einrichtung der autonomen Frauenbewegung mit Archivalien ab dem Beginn der 1970er Jahre. Auch die neuen Feministinnen hatten schon über Jahre „Quellen“ produziert und teilweise weggeworfen. "Wir waren damals wirklich die Avantgarde, wir sprachen nicht von Bibliothek oder Archiv, wir sprachen von Information, das war damals der modernste Begriff in einer Zeit, wo an Computer und Internet noch lange nicht zu denken war.“ Das FFBIZ und zu Beginn vor allem Ursula Nienhaus bauten eine der größten Sammlungen zur Neuen Frauenbewegung in Europa auf. „Es hat mit Müh und Not die Frauenbewegung überlebt und bewahrt als ihr erstes und bestandsgrößtes Archiv die Belege ihrer Existenz", erinnert sie sich 2014. Daneben war sie als Dozentin tätig, sei es an der FU oder später, nachdem sie sich 1993 mit einem Frauenthema habilitiert hatte, als Privatdozentin für Neue Geschichte an der Universität Hannover ("Vater Staat und seine Gehilfinnen“...). "Ihr umfangreiches historisches Wissen an Studierende zu vermitteln, war ihr immer ein großes Anliegen." (FFBIZ)

Die Historikerin bemühte sich zudem jahrelang um die Fortbildung von Praktikantinnen. Ursula Nienhaus war ein Arbeitstier und gleichermaßen ein Alphatier. So schlug sie im Archiv oder auf Tagungen immer mal wieder einen recht strengen Tonfall an, den viele Frauen nur schlecht verkrafteten. Im Nachruf des Dachverbandes i.d.a. heisst es: "Sie wird uns in Erinnerung bleiben als stets streitbare Verfechterin feministischer Bildungsarbeit und als konstruktive Diskussionspartnerin."   

Die lesbisch lebende Feministin machte viele Kompromisse, lebte lange prekär, denn weder die kleine Stelle im Archiv noch die Lehraufträge waren auch nur ansatzweise angemessen bezahlt. „Die Frauen haben ihr eigenes Geld reingegeben, auch ich, es gab Jahre, wo ich bis auf Miete und Nahrung alles Geld, was ich verdient habe, hergab, um das FFBIZ zu retten. […] Frauen wie ich, die viel und ohne ökonomische Rücksichtnahme sozusagen gearbeitet haben, dürfen sich auf ein paar hundert Euro Rentenanspruch einstellen.“ Das sind Erfahrungen, die viele Frauen aus Frauenprojekten heute machen.

2014 wurde Ursula Nienhais mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland für ihr jahrzehntelanges Engagement in der Frauenforschung und im FFBIZ geehrt.  Als Vorstandsfrau und später als ‚einfaches‘ Vereinsmitglied stand sie dem Frauenbildungsprojekt noch lange mit Rat und Tat zur Seite. Sie verbrachte ihre letzten Lebensmonate in einem Berliner Altenheim, wo bürgerliche Frauen des Frauenclubs Soroptimists sie unterstützten.

 

*Etliche biografische Informationen sowie die Zitate stammen, sofern nicht anders vermerkt, aus einem Text von Gabriele Göttle aus der taz von 2004).